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Es gibt tausend Geschichten, in denen du dich selbst entdeckst - warum hast du sie nicht geschrieben? Hier und da mal eine eigene Erzählung, ein Gedicht oder ein Roman, Bruchstücke nur von etwas, das du nicht kennst. Nur die eine Geschichte, die, die du immer noch schreiben wolltest, die fällt dir nicht ein. Immer bist du abgelenkt, mit deinen Gedanken schon bei der nächsten Sitzung, von der so viel abhängt oder dem Konzert, das du organisieren mußt. Sie sehen dich an mit ihren großen Augen, und wenn es dir einmal nicht gutgeht, sind sie rührend um dich besorgt  - es wird doch wohl nichts Ernstes sein? Schließlich bist du der Motor; du musst dafür sorgen, dass das Leben nicht stillsteht. Erst wenn sie dich hinaustragen wirst du Ruhe haben. Sie werden das schon machen, sagen sie und klopfen dir wohlwollend auf die Schulter. Allen sollst du alles versprechen: den Reichen ein gutes Gewissen und den Armen das Himmelreich. Und so sprichst du mit den Traurigen in ihrer Sprache und lächelst im Hintergrund des Hochzeitfotos. Andere erkennen sich in dem, was du sagst; nur du selbst weißt immer weniger, wer du eigentlich bist. Du entdeckst die ersten grauen Haare im Spiegel und wunderst dich. Sie erzählen dir, dein Bruder sei umgekommen in Afrika, und für einen Augenblick stockt dir das Herz. In der nächsten Zeit bist du zerstreut; man tuschelt hinter deinem Rücken; pass auf, was werden die Leute sagen? Und manchmal - in Augenblicken der Abwesenheit - denkst du nach über die Geschichte, die du immer schreiben wolltest und fragst dich, ob es noch so wichtig ist, daß sie dir einfällt oder ob du sie gar schon geschrieben hast und es nur nicht weißt. Aber vielleicht ist auch dieser Gedanke nur aus deiner heillosen Zerstreutheit geboren worden.

                                                                                       (unveröffentlicht)



Der erste Anruf kam morgens um halb zehn. Als es klingelte, wollte meine Frau ans Telefon gehen, aber ich sagte: „Lass mal“, weil ich dachte, es wäre Franz, der sich mit mir zu einer Partie Schach verabreden wollte. Aber dann sagte eine weibliche Stimme „Hallo“ und ich sagte ebenfalls „Hallo“, obwohl es mir irgendwie idiotisch vorkam. „Damit hast du wohl nicht gerechnet“, sagte die Stimme, die ein angenehmes Timbre hatte, zu der sich aber ansonsten kein Gesicht einstellen wollte. „Mit wem habe ich, bitte, die Ehre?“ fragte ich. Ein leises Kirchern, dann wieder die angenehme Stimme:  „Weißt du’s wirklich nicht?“ Ich verneinte. „Denk mal drüber nach“, sagte die Stimme, und dann hörte ich schon das Besetztzeichen.
Ich hatte natürlich Besseres zu tun.  Es war Samstag; der Wocheneinkauf war zu erledigen, der Rasen musste gemäht werden und die Steuererklärung war auch schon Wochen überfällig. Ein paar flüchtige Gedanken an die unbekannte Stimme, während meine Frau sich einfach nicht entscheiden konnte, ob sie Kelloggs oder doch lieber die billigeren Cornflakes nehmen wollte – aber dann buchte ich den Anruf achselzuckend als Verwechslung ab. Konnte ja schließlich mal vorkommen.
Hernach das Übliche. Die Tage im Büro waren lang und an-strengend. Runge, Gramm und Partner – ich bin einer der „Partner“ – hatten einen großen Auftrag an Land gezogen: Ein Bürogebäude in Frankfurt war zu planen, und das bedeutete, dass ich kaum vor sieben Uhr abends zu Hause war. Dann spielte ich noch ein bisschen mit Sandrina; ich kaufte Persil oder Honig in ihrem Kaufladen (nur Kinder Country Happy Hippo Snack hatten sie dort nicht; die waren nicht gut für die Zähne) oder  wir bauten zusammen ein Hochhaus aus Legosteinen, und um halb neun lag unsere Fünfjährige dann im Bett. Hernach erzählte Bettina mir, dass im Kindergarten der Keuchhusten umging; wir tranken noch ein Glas Wein oder sahen uns einen Film im Fernsehen an, und um elf gingen wir schlafen.
Der zweite Anruf kam vier oder fünf Tage später. Sandrina lag im Bett, die Gute Nacht Geschichte hatte ich ihr erzählt,  und ich brütete gerade darüber, was ich noch von der Steuer absetzen konnte, als das Telefon klingelte. „Na, weißt du jetzt, wer ich bin?“ Ich dachte an Carola, mit der ich vor Bettina zusammengewesen war, und die mich eines anderen wegen verlassen hatte, an Krisstin, mit der ich vor vier oder fünf Jahren ein paar Mal geschlafen und von der ich mich getrennt hatte, als sie im Begriff gewesen war, sich in mich zu verlieben.  Die Stimme passte zu keinem Namen, der mir in den Sinn kam.
„Müsste ich dich kennen?“ fragte ich. Sicher nicht gerade originell, aber etwas Besseres fiel mir momentan nicht ein.
„Ich denke schon“, kicherte es am anderen Ende.
„Gib mir wenigstens einen Tip.“
„Na gut. Du kennst mich. Aber meine Stimme hast du erst einmal gehört.“
„Das Babylon“, rief ich einen Augenblick später. „Demhimmelnah.“
Aber da hatte sie schon aufgehängt. ....

(Auszug aus "Spiele in der Dunkelheit", veröffentlicht in "Zeit-Reize, Reiz-Zeiten Aktuelle Texte der Schreibwerkstatt an der Fachhochschule  Wiesbaden", Wiesbaden 2003, zu beziehen über die Fachhochschule, Kurt Schumacher Ring 18, 65197 Wiesbaden oder über den Autor)

 
   
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